Rituale

Heute wird oft von der Wichtigkeit von Ritualen gesprochen. Gewohnheiten, Gepflogenheiten, die Kindern, wie auch Erwachsenen das Gefühl der Geborgenheit, der Beständigkeit und der Zusammengehörigkeit vermitteln können.

Rituale zeigen sich sowohl im individuellen Leben, im familiären, gesellschaftlichen, wie kulturellen Bereich. Ein Ritual erhebt „gewöhnliche“ Handlungen ins Besondere und verweist über das Alltägliche hinaus. Das „irdische“, das materielle Leben wird als Geistiges bewusst. Das Gewöhnliche wird zum „Heiligen“ und steht in einem größeren Sinnzusammenhang. Z. B. kann ein Morgenritual die Dimension der Dankbarkeit gesund aufzuwachen und seinen Aufgaben nachgehen zu können zum Ausdruck bringen oder ein Tischgebet das Bewusstsein dafür schärfen, dass es nicht selbstverständlich ist, etwas zu essen zu haben.
Rituale, die in einer Gemeinschaft gelebt werden, stiften oft ein Einheitsgefühl, wie zum Beispiel das gemeinsame Zazen. Rituale geben Orientierung, denn durch die immer wiederholten Vollzüge geben sie dem Menschen das Gefühl der Geborgenheit in einer so schnelllebigen Zeit, in der sich ständig alles verändert. Durch Wiederholung wird das Gefühl der Beständigkeit vermittelt und wir können uns in dem großen, unschaubaren Ganzen aufgehoben fühlen. Gerade durch den ständigen Wandel und der Komplexität der Welt geraten wir sehr leicht in eine Unsicherheit und Hilflosigkeit, wir können nicht wissen, was kommen wird, ja wir können nicht einmal das gegenwärtige Chaos des Lebens umfassend verstehen.
Rituale geben dabei Stabilität. In dem ritualisierten Handlungen verweisen sie auf eine transzendente Wirklichkeit, in der sich der Mensch seines Handelns und seines Soseins bewusst werden kann. Das Materielle, Gewöhnliche wird zum Ausdruck des Geistigen. Das Kleine wird das Große, das Endliche das Unendliche, das Vergängliche das Beständige. Ich glaube, Rituale gehören zu unserem Menschsein dazu, damit wir uns nicht verlieren und uns gleichzeitig unseres Soseins immer wieder bewusst werden: „Wir sind der Vollzug des Einen in der unendlichen Vielfalt.“ Dies zu erkennen, lässt uns nicht in der Vielfalt verloren gehen. In Ritualen wird dieses Erkennen verkörpert.
Rituale rhythmisieren auch unser Leben. Rhythmus ist Leben. Wir brauchen nur die Natur betrachten. In ihr wird sichtbar, wie sich das Leben in unentwegten Rhythmen vollzieht. Tag und Nacht, die Jahreszeiten, Vergehen und Entstehen, überall zeigt sich der Rhythmus, nicht getacktet, sondern als ein unentwegtes Schwingen. Auch wir stimmen in diese Rhythmen ein, seien sie tageszeitlich, wöchentlich, monatlich oder jährlich. Verändern sich die Rhythmen z. B. beim Übergang vom Kind zum Jugendlichen, vom Arbeitsleben zum Rentendasein, durch einen Umzug in ein ganz anderes Land und noch in vielem mehr, müssen sich die Rituale auch verändern. Die Rituale sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Wird der Veränderung nicht Rechnung getragen, verfallen die Rituale oder ihre Wirkung der Stabilisierung und Weite verkehrt sich ins Negative, sie werden als abgegriffen, überholt, sinnentleert empfunden. Halten wir an den festen Strukturen jedoch mit aller Gewalt fest, besteht die Gefahr, dass die Rituale missbraucht werden und über die Menschen Macht ausüben. Rituale dürfen daher nie den Menschen in einen Zwang führen, im Gegenteil, sie müssen ihn aus den Zwängen des kleinen Ich-Ierstehens herausheben.
Daher ist es unentbehrlich, Rituale unentwegt mit dem Leben mitschwingen zu lassen, wie die Natur es uns vorlebt. Sie ist in keinem Moment fest und zeigt gerade in ihrem Wandel Stabilität.
Da sich Rituale immer wieder ändern, alte aufgelöst werden, neue hinzugenommen werden, bedarf es einer großen Wachheit, dass sich nicht Gewohnheiten einschleifen, die sich zu Ritualen wandeln, jedoch nicht ein Spiegel unseres unendlichen weiten Soseins sind, sondern uns in unserer Niedrigkeit festhalten. Sie locken uns in die Gier, den Neid, den Stolz, die Unzufriedenheit, den Hass oder die Trägheit. Diese Geistesgifte betreffen jeden von uns. Werden sie ritualisiert und alle um dieselbe Zeit in uns Menschen angeregt, potenzieren sie sich. Heute durch die Medien besteht diese Gefahr besonders. Nehmen wir nur z. B. die „Tagesschau“ oder den „Tatort“ . Um 20.00 Uhr bzw. 20.15 Uhr ertönt der Gong, jetzt beginnt keine Sendung, sondern ein Ritual und ihr Inhalt ist bestimmt keiner, der uns Menschen als geistige Wesen anspricht. Rituale sind daher nicht von Haus für uns Menschen erhebend, sondern bergen in sich beide Seiten. Sie können uns zu unserem wahren Selbst erheben oder aber auch dieses niederdrücken. Ein Gradmesser ist die Zufriedenheit, die Freude, die Dankbarkeit, der innere Friede. Nimmt unser negativer, nörgelnder Geist zu, sollten wir unsere Rituale schnellstens überdenken, welchen Geist sie in uns wecken und pflegen und sie dann verändern.