Teisho über das Koan Nr. 5 aus der „Eisernen Flöte“

Dieses Teisho wurde während des Sesshins am Felsentor vom 4. bis 10.09.2023 gehalten

WAS PAI-LING ERREICHT

Pai-Ling und Upasaka P’ang-yün studierten zusammen unter Ma-tsu, dem Nachfolger von Nan-yüeh. Als sie sich eines Tages auf der Straße trafen, bemerkte Pai-Ling: „Unser großer Vater sagte über das Zen: ‘Wenn jemand behauptet, es sei etwas Bestimmtes, liegt er völlig daneben.‘ Ich frage mich, ob er es jemandem gezeigt hat.“Upasaka P’ang-yün antwortete: „Ja, das hat er.“ „Wem?“, fragte der Mönch. „Da, diesem Burschen hier“, erwiderte der Laie und deutete mit dem Finger auf sich selbst, „was du erreicht hast, ist so schön und tief, dass selbst Manjushri und Shubuti dich nicht genug loben können.“ Dann sagte der Laie zum Mönch: „ Ich frage mich, ob jemand weiß, was unser großer Vater mit Zen gemeint hat.“ Der Mönch antwortete nicht, setzte seinen Strohhut auf und ging davon. „Gib acht!“, rief Upasaka P’ang-Yün ihm nach. Aber Pai-Ling ging seines Weges, ohne sich umzusehen.

In diesem Koan kommen mehrere Personen vor, die ich gerne vorstellen möchte. Als erstes der Mönch Pai-Ling der unter Ma-tsu gelernt hat. Er steht damit in der Zen- Linie, die mit Hui Neng ihren Anfang genommen hat, denn Nan-yüeh, der Nachfolger von Hui Neng war der Lehrer von Ma-tsu. Auch Upasaka P’ang-yün hat bei ihm gelernt. Upasaka heißt nichts anderes als Laie. P’ang-yün, wird in der japanischen Literatur nur Laie Pang genannt. Er war ursprünglich ein reicher Kaufmann, Doch hatte er Zen bei vielen Meistern studiert. Als er seine große Erfahrung machte, versenkte er im Fluss seinen ganzen Besitz.

Das brachte seine Mitmenschen in große Verwirrung und sie meinten:: „Pang, wenn du schon deinen Besitz nicht haben willst, dann kannst du ihn doch an die Armen verteilen.“ Pang entgegnete: „Nachdem ich erfahren habe, welchen schlechten Einfluss das Geld hat, möchte ich das niemandem zumuten.“ Dann zog er mit seiner Tochter durch das Land und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Korbflechter. Er ging nicht ins Kloster, sondern blieb Laie.

Seine Tochter war nicht weniger begabt als er. Es wird erzählt, dass Laie Pang an seinem Lebensende zu seiner Tochter sagte: „Ich werde zu Mittag sterben.“ Er legte sich in einen Sarg und wartete auf seinen Tod. Da schrie seine Tochter draußen laut auf. Pang sprang schnell aus dem Sarg und lief hinaus. In dem Moment kam seine Tochter und legte sich in den Sarg. Sie machte ihrem Vater klar, Sterben und Leben sind eins. Man stirbt nicht , indem man sich in den Sarg legt. Kommt der Tod , ist dies ein Augenblick im Leben, doch man wartet nicht auf ihn.

Der Laie Pang lernte zuerst unter Meister Shi-tou. Eines Tages fragte er ihn „Wer ist derjenige, der nicht von den 10.000 Dingen abhängig ist?“ Shi-tou hielt ihm rasch den Mund zu. Pang hatte eine kleine Einsicht. Pang reiste weiter zu Meister Ma-tsu und fragte ihn ebenso: „Wer ist der, der nicht von den 10.000 Dingen abhängig ist?“ Ma-tsu santwortete ihm: „Ich werde es dir erst sagen, wenn du das Wasser des Westflusses in einem Zug ausgetrunken hast.“ Da erwachte Pang. Nur der Augenblick ist existent und er birgt alles in sich. Er ist vollkommen. Pang schrieb ein wunderschönes Gedicht zu diesem seinen Erwachen.

An meinen täglichen Verrichtungen ist nichts Besonderes.
Ich bin einfach im natürlichen Einklang mit ihnen.
An nichts festhaltend, nichts zurückweisend,
finde ich keinen Widerstand und bin nie getrennt.
Was kann mir der Prunk und die Pracht des Lebens zeigen?
Nicht einmal ein Staubkorn kann den weißen Gipfel beflecken.
Das Wunderbare ist übernatürlich.
Ich finde es im Wasser schöpfen und im Holz hacken.“

Pang hat das ganzheitlich erlebt. Er sagte nicht nur nach, was er gehört hat und verbreitete nicht große Zen-Theorien, er verwirklichte es in seinem Leben. Auf seiner Wanderung traf er einen Mönch, der ebenso wie er bei Ma-tsu gelernt hat. Dieser Pai-Ling fragte ihn: „Unser großer Vater sagte über das Zen: „wenn jemand behauptet, es sei etwas Bestimmtes, dann irrt er sich.“ Ich frage mich, ob er das jemandem gezeigt hat?“ Pang meinte: „Mir hat er es gezeigt.“

Was hat Pang erfahren ? Die evolutionäre Entwicklung unseres Gehirns hat unsere Wahrnehmung so entwickeln lassen, dass wir die Dinge für fest halten. Doch es gibt in der Wirklichkeit nichts Festes. Das ist unser Leiden. Sehen wir die Dinge nämlich als beständig, klammern wir uns an sie und erkennen nicht, dass sie bereits nicht mehr das sind, wofür wir sie halten. Doch über kurz oder lang erfahren wir den Verlust. Wir erleben Sterben. Leider haben wir keine Augen, die Atome sehen können, dann wäre es ein Leichtes die Unbeständigkeit zu erkennen. Wir sehen jedoch als Menschen. Ein Pferd sieht die Welt ganz anders, ein Hund oder eine Katze ebenso. Sogar mein Mitmensch nimmt die Welt anders wahr als ich. Wir können nicht einmal sagen, ob er die gleiche Farbe sieht wie ich. So sagt Ma-tsu : „Wenn wir sagen, dies ist etwas Bestimmtes, dies ist das Richtige, dann schießen wir daneben.“

Auch im Herzsutra heißt es „weder Auge, Ohr, Nase, Zunge oder Körper“. Wir können nicht sagen: meine Zunge schmeckt das Richtige und deine Zunge nicht. Meine Augen sehen das Richtige und deine Augen nicht.“ Es gibt nicht dieses Auge, das etwas objektiv sieht, wir interpretieren es. Diese Interpretation ist geprägt, ist konditioniert, menschheitsgeschichtlich, kulturgeschichtlich, familiengeschichtlich und individuell. Das Individuelle können wir noch verhältnismäßig schnell durchschauen. Beim Familiären wird es schon schwieriger, das merkt man oft im Alter, dass man sich ähnlich verhält, wie die Eltern, deren Verhalten einen früher aufgeregt hat. Kulturgeschichtlich wird es heute wunderbar sichtbar, weil wir in andere Länder kommen und Menschen aus anderen Ländern erleben und nicht nur die Menschen in unserem Dorf erleben. Wir lernen andere Kulturen kennen und erkennen die kulturgeschichtliche Prägung, die die Welt anders wahrnehmen

Erst wenn wir die Prägungen erkennen, haben wir die Möglichkeit, uns davon zu distanzieren, sie anzuschauen und müssen ihnen nicht folgen. Wir sind frei. Solange wir uns mit diesen Prägungen identifizieren, ist es nicht möglich, sie loszulassen. Unsere Übung ist daher, Muster für Muster, Prägung für Prägung zu erkennen und zu realisieren, ich bin nicht die Prägung, mein Körper, mein Geist haben diese Prägung. Die schwierigste Identifikation ist die Körperliche. Diees erleben wir beim Sterben.

Unsere Prägungen begegnen uns unentwegt. Daher bedarf es großer Achtsamkeit ihnen nicht aufzuerliegen.
Aber zurük zum Koan.

Der Mönch will von dem Laien Pang wissen, ob dMa -tsu jemanden dazu bringen konnte, diese Erfahrung zu machen. Pang sagte: „Ja, mich.“ „Oh“, sagte Pai-ling daraufhin: „Manjushri und Shubuti würden dies aufs höchste preisen. Manjushri ist der Bodhisattva,der die Weisheit symbolisiert, die alle Gegensätzlichkeit der Welt durchschneidet. In dem Moment, in dem alles Bewerten von uns abfällt, die Dualität durchschnitten wird, in dem Moment ist in uns Manjushri gegenwärtig. Nicht weil er von außen auf uns einwirkt, sondern in uns ist diese Geistesqualität, diese tiefe Bewusstheit, die alle Gegensätze übersteigt. Die sich scheinbar gegenüberstehenden Pole, in der uns die Welt erscheint, sind alle Erscheinungen des Einen. Das Eine zu erleben, bedarf weder Ablehnung noch Vorliebe. Daher sagt der Laie Pang : „Ich finde keinen Widerstand in mir und ich bin nie getrennt von etwas.“ Bin ich eins mit allem, erfahre ich das Übernatürliche im ganz Natürlichen. Manjushri verkörpert diese Weisheit, das Einssein aller Gegensätze. Shubuti ist der andere, den der Mönch erwähnt. Er ist einer der großen Schüler Buddhas, der in den Prajnaparamita Sutren als Verfechter der Leerheit auftritt. Leere ist nicht ein Nichts, Leere will sagen, dass nichts Substanz hat, sich alles ständig verändert. Diese Leere ist nicht nur eine wunderbare Lehre oder ein Begriff. Sie ist erlebbar als Güte. So steht Shubuti auch für die Güte. In dem Moment, in dem ich mir bewusst bin, dass sich die Dinge ständig verändern, erwacht Güte von selbst.

Gütig sein beinhaltet ein großes, weites Herz, ein unbegrenztes Verständnis für alle Lebewesen. Keine Abwehr, kein Widerstand, keine Bevorzugung legen sich auf die Wahrnehmung. Der Mönch meint, der Laie Pang verkörpere mit seiner Erfahrung die Weisheit Manjusris und die Güte Shubutis. Doch Pang dreht jetzt den Spieß um und will wissen, wie es um den Mönch steht. Er will von ihm wissen: „Ich frage mich, ob jemand weiß, was unser großer Vater Ma-tsu, mit Zen gemeint hat?“ Hat der Mönch Pang als erstes herausgefordert so kontert jetzt Pang. Pang erforscht das Verständnis des Mönches. Der Mönch antwortet eigentlich wunderbar. Er sagt nichts, er setzt sich den Strohhut auf und geht . Damit zeigt er dem Laien Pang, worum es im Zen geht. Einfach dieser Augenblick. Er birgt bereits alles in sich. „Ich setze meinen Strohhut auf und gehe.“ Eine wunderbare Zen- Präsentation. Diesen Augenblick zu leben, nichts mehr nichts weniger. Doch der Laie Pang scheint damit nicht zufrieden. Er ruft ihm hinterher: „Pass auf!“

Was soll das? Warum kommt kein Wort der Bewunderung für diese klare Demonstration?

Es gab im Zen die Tradition der Wandermönche, die, wenn sie abends in einem Kloster übernachten wollten und um Einlass baten, sich erst einer Prüfung unterziehen mussten. Man war vorsichtig. Waren es wirklich Mönche, die vor der Türe standen oder nur Vagabunden, die billig übernachten wollten oder sogar das Kloster berauben. Eines Tages klopfte es an der Pforte eines Klosters. Ein Novize, der gerade alleine in dem Kloster war, öffnete die Türe. Pflichtbewusst wollte er den Ankömmling über Zen ausfragen. Der Wandermönch jedoch antwortete nicht. Er zog seine Sandale aus und schlug sie dem jungen Mönch auf den Kopf. Dieser ließ ihn ehrfürchtig eintreten. Als sie am Abend noch zusammensaßen, fragte der Novize etwas verunsichert den Wandermönch: „Du hast ein großes Verständnis von Zen, oder?“ Der Wandermönch antwortete verschmitzt: „Ja, ich habe viel darüber gelesen.“

Pangs Reaktion auf die Präsentation des Mönches, sein Ruf „Pass auf, pass auf!“ will dem Mönch sagen: „Pass auf, dass du Zen nicht zu einem Konzept machst. Demonstriere nicht Zen, sei Zen, sei dir des Augenblicks bewusst!“ Wir wissen auch viel über Zen. Es gibt unendlich viele Bücher. Wir können so viel lesen, dass wir nicht mehr spüren, weiß ich es oder bin ich es? Es ist wichtig, uns immer wieder dieses „Gib acht“ von Pang vor Augen zu halten. Bin ich wirklich der Augenblick? Oder rede ich nur über den Augenblick? Präsentiere ich den Augenblick? Habe ich große Konzepte? Weiß ich, worum es geht? Das macht vielleicht Eindruck . Aber es bringt nicht das, was uns satt macht, was uns erfüllt. Wir nehmen Schaden, weil wir nicht wirklich das leben, worum es eigentlich geht, nämlich da zu sein. Wir täuschen etwas vor, spielen, jemand zu sein. Doch es geht darum: wirklich zu sein. Deshalb sollten wir uns das „Gib acht“ von Pang sehr, sehr zu Herzen nehmen und immer wieder genau prüfen, ob wir einem Konzept hinterherlaufen. Im Augenblick zu sein, heißt unser Verhalten entspricht den Umständen, es ist kein Schein, sondern Sein.