Augenblick

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“
Mt.18,3

Diese Worte Jesu sind bekannt, doch habe ich den Eindruck, dass wir ihre Dringlichkeit nicht wirklich ernst nehmen.
Die Worte meinen nicht, dass wir kindisch werden sollten, sondern wir als Erwachsene wieder eine Fähigkeit entwickeln müssen, die wir als Kinder ganz selbstverständlich haben. Mit zunehmendem Alter und der Entwicklung unseres Ich-Bewusstseins, das sich meist zu einem Ego-Bewusstsein verwandelt hat, ist dieses Können, sich unmittelbar auf das einzulassen, was gerade ist, verloren gegangen.
Ein Augenblick hat mit Zeit nichts zu tun. Ein Augenblick ist Ewigkeit. Damit ist nicht eine Dauer gemeint, sondern das Erleben, dass dies, was jetzt geschieht, zutiefst wahr und sinnerfüllt ist. Im Augenblick gibt es nichts, was das Erleben in Frage stellen könnte. Es ist ein unmittelbares Schauen der Wirklichkeit. Daher macht uns ein Augenblick so glücklich, wir erleben uns kraftvoll und lebendig. Intuition und Inspiration ergreifen uns. Wir sind kreativ. Kein wenn und aber des Verstandes trübt unseren Geist. Nichts wird unentwegt kritisch hinterfragt, ob es richtig oder falsch ist, ob es etwas bringt oder nicht. Wir sind wahrlich im Himmelreich, einem Ort, der durch nichts begrenzt wird.
Eines Tages fragte ein hoher Beamter, der von weit her gereist war, den Zen-Meister Ikkyû:
„Meister könnt ihr mir bitte die Grundzüge der höchsten Weisheit niederschreiben?“
Ikkyû griff sofort zu Tinte und Pinsel und schrieb: „Achtsamkeit.“
„Ist das alles?“ fragte der Mann etwas enttäuscht. „Könnt ihr dem nicht noch etwas hinzufügen?“
Ikkyû schrieb daraufhin: „Achtsamkeit, Achtsamkeit.“
„Nun“, sagte der Mann in leicht gereiztem Ton, „in dem, was ihr geschrieben habt, kann ich nicht viel Tiefes entdecken; gibt es nichts anderes zur höchsten Weisheit zu sagen?“
Daraufhin schrieb Ikkyû drei Mal hintereinander das gleiche Wort:
„Achtsamkeit, Achtsamkeit, Achtsamkeit!“
„Was bedeutet das Wort Achtsamkeit eigentlich,“ wollte der Mann nun gänzlich verärgert wissen.
„Achtsamkeit bedeutet Achtsamkeit,“ sagte Ikkyû mit sanfter Stimme.
Diese wunderbare Zen-Geschichte bringt es auf den Punkt. Dieser Augenblick des Schreibens, des Sprechens ist bereist die höchste Weisheit.
Der Augenblick entzieht sich in dem Moment, wo wir abwägen, wo wir kommentieren urteilen oder bewerten. Gerade das ist es, was uns Erwachsenen so Schwierigkeiten macht. Wir haben unseren Verstand auf dieses Urteilen hin getrimmt und jetzt sollen wir uns ganz und gar zurücknehmen und den Moment geschehen lassen. Das muss wieder geübt werden in jedem Moment und an jedem Ort.